Unbestreitbar gewordene Fakten werden gemäß Bruno Latour „nicht von renommierten wissenschaftlichen Disziplinen wie der Teilchenphysik oder der Mathematik geliefert, sondern von einer Vielzahl empirischer Feldforschungen zusammengetragen, deren Gewißheiten sich nicht aus einer schlagenden Beweisführung ergeben, sondern aus der Kreuzung Hunderttausender winziger, in Modellen weiterentwickelter Detailerhebungen, einem Gefüge von Beweisen, die ihre Stichhaltigkeit aus einer Vielzahl von Daten beziehen, von denen jedes einzelne selbstverständlich angreifbar bleibt.“
Mit dieser paradoxen Rolle empirischer Forschung setzt sich Christina Vinke in ihrer Performance Homo Deus auseinander. Grundlage der Performance bilden empirische Studien, denen zufolge Pflanzen besser wachsen, wenn man zu ihnen spricht. Diese machen das Paradox empirischer Forschung besonders deutlich, denn während ihre Ergebnisse komplexe Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur sowie eine Zivilisiertheit der Pflanzen nahelegen, so versetzen sie die Pflanzen dafür in künstliche Umgebungen und isolieren sie so von eben diesen komplexen Wechselwirkungen. Vinke versuchte diese Studien in ihrer Performance Homo Deus mithilfe von Kressesamen zu reproduzieren. Dafür teilte sie die Kressesamen zunächst gleichmäßig in eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe ein und streute sie auf eine Aga-Aga-Nährlösung in zwei verschiedenen Gläsern, welche schließlich in zwei voneinander und der Außenwelt isolierte Vitrinen gestellt wurden. Mithilfe verschiedenster Sensoren, welche unter anderem Temperatur, CO2-Werte, Luftfeuchtigkeit und Lichtwerte maßen, stellte Vinke dabei vergleichbare Bedingungen innerhalb der beiden Vitrinen sicher. Dann begann sie, der Versuchsgruppe in einem 18-stündigen Abstand über ein Mikrophon jeweils einen Vortrag aus Bruno Latours Kampf um Gaia vorzulesen. In den Stunden zwischen den Live-Vorträgen wurden die Pflanzen permanent weiter mit Aufnahmen der Vorträge beschallt. Die Zuschauer*innen konnten diese über an den Podesten angebrachte Kopfhörer hören. Des Weiteren waren in den Vitrinen Kameras angebracht, über die das Wachstum der Kresse mittels eines ins Internet übertragenen Live-Stream mitverfolgt werden konnte. Am Ende des Versuchszeitraumes wiesen die beschallten Pflanzen eine doppelt so dichte Besiedlung und eine doppelt so große Wuchshöhe auf wie die unbeschallten Pflanzen.
Christina Vinke, geboren in Papenburg, studierte nach ihrem Abschluss im Diplomstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen (Fachrichtung Informatik/Operation Research) am Karlsruher Institut für Technologie Medienkunst an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. In ihrer künstlerischen Praxis setzt sie sich mit den verschiedensten Aspekten der menschlichen Wahrnehmung auseinander. Dabei kommen nicht nur zahlreiche Medien zum Einsatz, sondern auch das Wissen Vinkes aus den Bereichen Philosophie, Psychologie, Informatik, Kunstwissenschaft, Szenografie, Ausstellungs-, Kommunikations- und Produktdesign. Darüber hinaus ist sie auch als Produzentin, Autorin und Regisseurin im Arthaus-Bereich tätig.