Mit VIDI hat Kathi Rüll ein interaktives, browserbasiertes Werkzeug geschaffen, das Musik in visuelle Farb- und Formwelten übersetzt. Den Ausgangspunkt für die Entwicklung des Tools bildete Rülls intensive Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Praxis als Grafikdesignerin durch deren Vergleich mit der Musik. Dabei wurde deutlich, dass Musik häufig viel emotionaler, intuitiver und kollaborativer funktioniert als grafische Gestaltung.

VIDI stellt Rülls Versuch dar, die Differenzen zwischen den beiden Disziplinen zu überbrücken und es Musiker:innen und Gestalter:innen so zu erlauben, voneinander zu lernen, miteinander zu experimentierten und zu improvisieren. Dafür hat sie in Zusammenarbeit mit einem Programmierer (Leo Hilsheimer) und einem Musiker (Nils Eberhard) einen Code programmiert, der im Moment des Musikmachens die Distanz zwischen den gespielten Noten berechnet und deren Lautstärke, Geschwindigkeit und Tonalität erkennt. Abhängig von diesen Parametern sowie davon, ob die gespielten Töne in ihrer Verbindung konsonante, semisonante oder dissonante Harmonien formen, schreibt VIDI dem gespielten Klang eine Farbe, Bewegung und Form zu. Um diese Klang-Bild- Zuweisungen festzulegen, führte Rüll Interviews mit Synästhetiker:innen, die beim Hören von Tönen Farben, Formen und Bewegungen wahrnehmen. Darüber hinaus setzte sie sich mit Theorien von Wissenschaftler:innen und Künstler:innen auseinander, die sich den Korrespondenzen von Farben und Klängen widmen. Dabei wurde deutlich, dass es zwar wiederkehrende Motive und Schemata, aber keine einzige, von der Mehrheit der Menschen akzeptierte Verbindung von Farbe und Musik gibt. Um der Einzigartigkeit individueller Farb-Klang-Zuweisungen Raum zu geben, bietet VIDI die Möglichkeit, zwischen 27 verschiedenen visuellen Stimmungsbildern zu wählen und die Visualisierungen so an die Musik sowie an subjektiv wahrgenommene Korrespondenzen anzupassen.

Trotz der komplexen Programmierung, die VIDI zugrunde liegt, werden zur Verwendung des Tools lediglich ein Computer und ein MIDI-Gerät benötigt. Das vom MIDI-Gerät erzeugte Signal wird von VIDI zu visuellen Stimmungsbildern verarbeitet, die dann auf dem Bildschirm des Computers zu sehen sind. Dieser einfache technische Aufbau erlaubt es, VIDI beinahe überall zu verwenden. Um die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten beispielhaft vorzuführen, hat Rüll drei Karlsruher Szenograf:innen (Jannik Lang, Janina Capelle, Kamilla Murtazia) und zwei Musiker der Popakademie Baden-Württemberg (Nils Eberhard, Immauel Eißler) eingeladen, mit VIDI zu experimentieren. Aus dieser Kollaboration entstanden zwei einander gegenüberliegende Installationen, auf welche die grafischen Outputs von VIDI projiziert wurden. Inmitten dieser Installation fand im Mai 2022 schließlich ein öffentliches audiovisuelles Konzert statt, bei welchem die Zuhörer:innen und Zuschauer:innen das Design VIDIs mit allen Sinnen erfahren konnten. Damit VIDI nicht auf diese einmalige audiovisuelle Aufführung beschränkt bleibt, sondern auch von vielen Anderen genutzt wird, hat Rüll den Programmier-Code des Tools, das Tool selbst sowie ihre theoretische Forschung zum Thema für alle zugänglich unter visualmidi.art und GitHub online veröffentlicht.

Kathi Rüll studierte bis 2022 Kommunikations- und Produktdesign an der HfG Karlsruhe. Seit ihrem Diplomabschluss arbeitet sie als selbstständige Grafikdesignerin für verschiedene Kunst- und Kulturprojekte in Karlsruhe, Stuttgart und Zürich. In ihrer gestalterischen Praxis bewegt sie sich zwischen dem Annehmen immer neuer digitaler Herausforderungen und einer analogen Hands-On-Mentalität. Dabei liegt der Fokus besonders auf dem ephemeren Charakter des Mediums, den Rüll in ihren Projekten häufig – bspw. durch die Arbeit mit ausbleichender Farbe und Projektionen – explizit hervorhebt. Sie ist Teil des Karlsruher Arbeitsraums Studio B, der neue Potentiale für interdisziplinäre und kollaborative Projekte schafft.