Was braucht der Mensch? Abraham H. Maslow, Mitbegründer der humanistischen Psychologie, beantwortet diese Frage mit einer hierarchischen Anordnung menschlicher Bedürfnisse, welche er in Form einer fünfstufigen Pyramide darstellt. An unterster und damit grundlegendster Stelle dieser Pyramide verortet er physiologische Bedürfnisse wie Nahrung, Sex und Schlaf. Bereits an zweiter Stelle steht das Bedürfnis nach Sicherheit, welches den Körper, die Arbeit, Familie, Eigentum und Moral miteinbezieht. Erst wenn dieses Sicherheitsbedürfnis – zumindest zu einem gewissen Grad – erfüllt ist, erwachsen Maslow zufolge die Bedürfnisse nach Liebe und Zugehörigkeit sowie nach Wertschätzung und Selbstverwirklichung. Während Maslow zwar der Erste war, der die Wichtigkeit des Bedürfnisses nach Sicherheit für den Menschen explizit hervorhob, wurde dieses schon lange vorher von verschiedensten Philosophinnen und Staatstheoretikerinnen erkannt und dabei nicht nur auf das Individuum begrenzt, sondern auf das Zusammenleben im Kollektiv ausgeweitet. Auch in unserer heutigen, modernen Gesellschaft spielt der Erhalt individueller und kollektiver Sicherheit, welche sich teilweise ergänzen, teilweise jedoch auch gegenseitig aufheben, eine wichtige Rolle, wie ein Blick auf das vielfältige Angebot an Versicherungen und die große Zahl staatlicher Sicherheitsmaßnahmen zeigt. Doch was bedeutet Sicherheit eigentlich? Woher kommt das Bedürfnis nach ihr, welche Maßnahmen und Einschränkungen rechtfertigt sie und kann sie überhaupt jemals vollständig hergestellt werden? Im Film Riskantes Sein nähert sich Nino Alonso diesen Fragen am Beispiel seiner Eltern, die ein sehr ausgeprägtes subjektives Sicherheitsbedürfnis besitzen. Die beiden lernten sich bei ihrer Berufsausbildung in der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (kurz BAM) kennen, welche unter der Leitlinie „Sicherheit in Technik und Chemie“ operiert und durch Regelsetzungen und beratende Tätigkeiten für die öffentliche Sicherheit der BRD sorgt. Für Riskantes Sein führte Alonso im Jahr 2020 ein dreitägiges Interview mit ihnen, in welchem deren Verständnis von Sicherheit sowie die Rolle, welche dieses in verschiedenen Phasen ihres Lebens gespielt hat, verhandelt werden. So rekonstruieren sie im Laufe des Interviews verschiedenste, bewusste wie unbewusste, die Sicherheit betreffende Entscheidungen, die von der Familien- und Urlaubsplanung und dem Abschluss einer Lebensversicherung bis hin zum Kauf von Möbeln und Socken reichen, und rätseln über die Gründe für ihr ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. Die Ausschnitte des Interviews, die Alonso essayistisch aneinandergereiht hat, werden dabei immer wieder von Aufnahmen eines Spaziergangs um das Gebäude des BAM unterbrochen, bei welchem die Protagonist*innen über die Institution und ihre dortige Arbeit erzählen. Die auf diese Weise hergestellte Verbindung zwischen individuellem Sicherheitsbedürfnis und dem Bedürfnis nach kollektiver Sicherheit wird weiter dadurch verstärkt, dass im Film stellenweise Beschreibungen der Maslowschen Bedürfnispyramide und die Selbstbeschreibung des BAM eingeblendet werden. Um die Abhängigkeiten und Wechselwirkungen von individueller und kollektiver Sicherheit noch weiter hervorzuheben, verfasste Nino Alonso begleitend zum Film ein Essay, in welchem er die Geschichte seiner Eltern mithilfe von psychologischen, soziologischen und philosophischen Theorien in einen größeren Kontext einbettet.
Nino Alonso lebt und arbeitet als selbstständiger Künstler und Filmemacher in Bonn. Geboren und aufgewachsen in Berlin zog er zunächst für ein Studium der Bildhauerei nach Bonn. Anschließend führte ihn seine tiefe Neugierde für zeitgenössische Medien an die HfG Karlsruhe, wo er von 2015 bis 2022 Medienkunst studierte. Im Fokus seiner Arbeit steht das Abhängigkeitsverhältnis von individueller zu kollektiver Freiheit bzw. von Selbstbestimmung und den regulierenden Institutionen. Um dieses zu untersuchen, entfremdet und überspitzt er häufig Kommunikations-Repräsentanzen der Institutionen. Die daraus hervorgehenden, meist medienreflexiven und multimedialen Installationen wurden bereits in diversen Ausstellungen, u.a. im ZKM Karlsruhe, gezeigt. Parallel entwickelt er aus seinem künstlerischen Schaffen auch pädagogische Formate, die er als Dozent für „Intermediale Ansätze“ vertiefen konnte.