Karlsruher Kulturstipendium für HfG-Alumnae Vera Valentina Gärtner und Leonie Mühlen
Am Montag, den 17. Oktober 2022 wurde offiziell das Wintersemester 2022/23 der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe eröffnet. Dieses Jahr wurde auf der Eröffnung auch das renommierte Kulturstipendium der Stadt Karlsruhe in Höhe von insgesamt 20.000 Euro von Bürgermeister Dr. Albert Käuflein an zwei HfG-Alumnae überreicht. Vera Valentina Gärtner und Leonie Mühlen wurden aufgrund der besonderen künstlerischen Positionen ihrer Abschlussarbeiten mit dem Karlsruher Kulturstipendium ausgezeichnet. Das Stipendium ist für Abgänger der künstlerischen Hochschulen Karlsruhes vorgesehen, die damit ein Jahr lang in Karlsruhe leben, arbeiten und ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren können.
Vera Valentina Gärtner
Vera Valentina Gärtner studierte von 2013 bis 2022 Ausstellungsdesign, Szenografie und kuratorische Studien an der Staatliche Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Sie beobachtet ihre Umgebung genau, wenn Sie dabei auf etwas stößt, dass ihr Interesse oder ihren Unmut erweckt, beginnt sie, genauer zu recherchieren. Gärtner liest, forscht, vergleicht und spekuliert mit Wirklichkeiten, zuletzt unter anderem im Stadtarchiv Karlsruhe für ihre Diplomarbeit.
Ihre künstlerischen Fragestellungen kreisen um gesellschaftspolitische Sachverhalte, insbesondere queere und intersektional-feministische Themenfelder. In ihrer interdisziplinären Arbeitsweise legt sie ein besonderes Interesse auf das Übersehene. Das wird vor allem in ihrer Beschäftigung mit den Eigenschaften abgeschiedener Orte und Refugien sichtbar, für die der städtische Raum (Karlsruhe) meist den Ausgangspunkt ihrer Praxis bildet.
Gärtner wagt kuratorische Experimente, entwirft antihierarchische Konferenzarchitekturen und aktivistische Spaziergänge. Aber auch ortsspezifische Sound-Installationen, wie bei ihrer Diplomarbeit ffountain, einer gender-historischen Untersuchung der Straßenbenennungen sowie der Körperdarstellungen von Denkmälern, Brunnen und Freiplastiken im öffentlichen Raum in Karlsruhe. Gärtner stellt hier künstlerisch die Frage, wem sichtbar erinnert wird und wem nicht.
Die Dokumentation des Ist-Zustands in Karlsruhe, die Analyse der Repräsentation der Geschlechterverhältnisse und insbesondere der Fokus auf die Personen derer nicht erinnert wird, legen das tief verwurzelte Geflecht aus patriarchalen, rassistischen, ableistischen, klassistischen und (neo-)kolonialistischen Strukturen innerhalb der Stadt und der Gesellschaft offen.
Mittels Methoden des Neuanordnens, Zweckentfremdens und Überschreibens werden bereits existierende Antworten collagiert und Gegenvorschläge gemacht. Sie manifestieren sich in einem „Zine“ als Kompilation der Recherche, durch Postkarten als Souvenir und aktivistisches Tool, in einem Floorplan und schließlich in dem namensgebenden ffountain: Ein Gegenentwurf des speienden, misogynen Brunnens auf dem Stephanplatz – eine räumliche Inszenierung eines Mixtapes als feierlicher, kollektiver und empowernder Gegenmoment.
Es sind Versuche, Gegenerzählungen aufzumachen – Einladungen zur Dekonstruktion und Neuimaginierung. Eine Hommage an das wertschätzende Samplen, Remixen, Zitieren, Reinterpretieren, Palimpzestieren, Kompilieren. ffountain möchte dem nicht-normativen Körper Raum geben, Erinnerung (zu) schaffen und neu (zu) erzählen.
Leonie Mühlen studierte nach einem Bachelor of Arts mit dem Schwerpunkt auf Architektur, ebenfalls Ausstellungsdesign, Szenografie und kuratorische Studien an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. 2021 machte sie hier ihr Diplom.
Mühlens künstlerische Praxis ist stark durch zwei Themenkomplexe geprägt – dem urbanen Raum und dem Naturraum. Dabei interessiert sie sich für die vielfältige Art und Weise, wie sich beide überschneiden sowie deren Einordnung in gesellschaftliche Bewertungssysteme.
Ihre Arbeiten geben meist fragilen Dingen Raum, erzählen bisweilen vom Ausgegrenztem oder gar Ungewolltem. Dabei soll ein niedrigschwelliger Zugang eine öffentliche Auseinandersetzung mit der gestellten Frage ermöglichen.
Phasen intensiver Recherche werden durch genaue Beobachtungen ergänzt und dokumentarisch erfasst. Davon ausgehend entstehen installative Arbeiten und performative Interventionen, die sich stark auf ihr Umfeld und die Stadtumgebung Karlsruhes beziehen.
Innerhalb ihrer interdisziplinären Arbeitsweise, greift Mühlen auf verschiedene Medien und Techniken zurück und bedient sich nicht zuletzt handwerklicher Verfahrensweisen, die sie abweichend von ihrem gewöhnlichen Einsatz künstlerisch neu interpretiert.
Mühlens Arbeiten haben etwas Zeitloses an sich, da sie sich oftmals mit grundlegenden Bedürfnissen auseinandersetzt: mit Lebensräumen, Behausungen bzw. Vertreibung, Nahrung, Gemeinschaft und Erinnerung. Diese Aspekte zeigen sich auch in ihrer Diplomarbeit „Ungeordnete Zustände“.
Die Ausstellung Ungeordnete Zustände (09.-27.06.2021, Luis Leu, Karlsruhe) erzählte in unterschiedlichen Strängen von der Auflösung der Kleingärten an der Stuttgarter Straße in Karlsruhe.
Hütten, Gärten und Wege wurden über die letzten Jahre geräumt, zerlegt und fortgetragen. Zuerst schien es, als würde das Gelände ausgedünnt und verschwinden, doch dann wuchs es unbeirrt an anderer Stelle nach. Menschen, Tiere und Pflanzen eigneten sich den Ort immer wieder neu an.
Leonie Mühlen beobachtete diese Bewegungen, dokumentierte sie und nahm selbst daran teil. Im Auswählen und Mitnehmen deuteten sich unterschiedliche Wertesysteme an: Manches wurde für kostbar oder schützenswert befunden und mitgenommen, einigem wurde Ausgleich oder Zuflucht gewährt und manches schlicht weggeworfen. Dieses Auswählen des Erhaltenswerten erinnert an die Logik des archivarischen Sammelns – die Filtration der Inhalte generiert gleichsam deren Geschichte.
Die Ausstellung stellte dabei selbst ein Archiv der Stuttgarter Straße dar, das auf diese Werthierachien mit Subjektivität und Beiläufigkeit reagiert. Die Sammlung ist ein Versuch, den Ort zu begreifen und zu konservieren. Eben diesen Ort im Abbruch, der in seiner Unordnung und seinem Ungehorsam Refugium für viele Dinge und Wesen war.
Das Karlsruher Kulturstipendium
Das Karlsruher Kulturstipendium wurde 2007 vom Gemeinderat beschlossen. Ziel des Kulturstipendiums ist es, herausragend begabte Absolvent:innen der Karlsruher Kunsthochschulen im Anschluss an ihr Studium eine Arbeitsmöglichkeit in Karlsruhe zu bieten. Die Verbindungen zwischen Stadt und künstlerischen Hochschulen sollen damit noch enger geknüpft werden. Außerdem soll der Ruf Karlsruhes als Stadt der Künste weiter gefestigt werden.
Als Kunsthochschule im Sinne dieses Stipendiums gelten die Akademie der Bildenden Künste, die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und die Hochschule für Musik Karlsruhe. Das Stipendium wird alle zwei Jahre in wechselndem Turnus an einen Absolventen/eine Absolventin der jeweiligen Hochschule vergeben.
Bevorzugt soll das Stipendium an Künstler:innen vergeben werden, deren künstlerisches Projekt sich im weitesten Sinne mit der Stadt Karlsruhe beschäftigt. Im musikalischen Bereich sollen Komponist:innen oder Kammermusikensembles bevorzugt Berücksichtigung finden.
Vergeben wird ein Jahresstipendium in Höhe von 20.000 Euro. Die Summe ist vorgesehen für Miete, allgemeine Lebenshaltungskosten sowie Material o. Ä. für künstlerische Tätigkeiten sowie die Abschlussveranstaltung oder Präsentation. Der Stipendiat/die Stipendiatin müssen ihr Studium an einer der genannten Hochschulen in den vergangenen drei Jahren erfolgreich abgeschlossen haben.