„All the world`s a stage, and all the men and women are merely players.“ – Dass Rollenspiel sich nicht nur auf Schauspielerinnen beschränkt, sondern die menschliche Identität im Allgemeinen beschreibt, wusste bereits William Shakespeare, der diese Worte dem melancholischen Jacques seiner Komödie As You Like It* in den Mund legte. Und auch lange vor und nach ihm betonten Theoretiker:innen von Platon über Diderot und Rousseau bis hin zu Helmuth Plessner und Erving Goffman immer wieder die imaginäre Natur der Unterscheidung von Rolle und Selbst. Der Mensch ist, das greifen diese Ansätze schon vor, selbst in den scheinbar unbeobachteten, alltäglichen Momenten immer von verschiedensten sozialen Rollen und damit vom Blick der Anderen bestimmt.
Felix Grünschloß untersucht diesen, jeder Identität innewohnenden Rollencharakter in seiner Arbeit Der Blick der Anderen in Form eines fotografischen Experiments. Für dieses hat er Schauspieler:innen darum gebeten, sich unmittelbar nach ihrem Auftritt vor einen Spiegel zu setzen und für ein paar Minuten darin zu betrachten. Da es sich bei diesem Spiegel nicht um einen gewöhnlichen, sondern um einen teildurchlässigen Einwegspiegel handelte, war es Grünschloß möglich, die Schauspieler:innen von der anderen Seite durch den Spiegel hindurch zu fotografieren, ohne von ihnen gesehen zu werden. Die dabei entstandenen Porträts fangen so genau den Moment ein, in welchem die Schauspieler:innen, die gerade noch Hunderten von Blicken ausgesetzt waren, plötzlich zu Betrachter:innen ihrer selbst werden.
Die darin zum Vorschein kommende Spannung zwischen der Intimität ihrer erschöpften Blicke und ihren Masken und Kostümierungen erzählt dabei stumm von der Schwelle zwischen Rolle und Selbst, an deren Übergang sie sich in diesem Moment befinden, und macht es den Betrachter:innen unmöglich, zu entscheiden, wessen Porträt sie gerade eigentlich sehen. Blicken sie in die Gesichter der Rollen, die die Schauspieler:innen einen Moment zuvor verkörpert haben, oder in die der Schauspieler:innen selbst? Diese Frage gewinnt dadurch noch an Komplexität, dass die Schauspieler:innen sich im Moment ihrer scheinbar intimen Selbstbetrachtung bereits darüber bewusst waren, dass die von ihnen gemachten Fotografien später ausgestellt und den Blicken der Anderen ausgesetzt sein würden. Das wirft beim späteren Betrachten der Porträts unweigerlich die Frage auf, ob nicht diesen festgehaltenen intimen Blicken bereits der Blick der Betrachter:innen innewohnt.
Doch nicht nur die Schauspieler:innen, sondern auch die Betrachter:innen werden von Grünschloß in diesen Strudel aus Selbst und Rolle geworfen. Denn indem Grünschloß die Porträts auf im Ausstellungsraum verteilten Stahlständern präsentiert, die der durchschnittlichen Körpergröße entsprechen, wirkt es beinahe so, als würden die Betrachter:innen selbst von den fotografierten Personen betrachtet werden. So verwandelt die Arbeit Der Blick der Anderen den Ausstellungsraum schließlich in eine Bühne, auf welcher die Rollen zwischen Betrachtenden und Betrachteten, zwischen Rolle und Selbst sich überlagern und eindeutigen Zuschreibungen verweigern. Am Ende weiß niemand genau, welches Stück eigentlich gespielt wird.
Felix Grünschloß wuchs in Stuttgart auf. Er studierte zunächst Germanistik und Journalismus an der Universität Karlsruhe, später Medienkunst mit Schwerpunkt auf künstlerische Fotografie an der HfG Karlsruhe. Seit er Vater zweier wunderbarer Kinder ist, sind seine freien Projekte zwar etwas ins Stocken geraten, als Chronist ist er den Künsten aber dennoch treu geblieben. So ist er als Theater- und Porträtfotograf regelmäßig für kulturelle Institutionen wie das Schauspiel Frankfurt, das Theater Baden-Baden, das Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft (ZAK), den Badischen Kunstverein, das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) und das Badische Staatstheater tätig.