„Rücken und Schultern, ein Leben lang, wir tanzen fix und foxy das Sofa entlang“
Diese Zeilen stammen aus dem Schlagerlied Unendlichkeit der sechsköpfigen Schlagermusikgruppe Heidi Herzig. Seitdem diese das Stück 2019 erstmals auf dem Rheinfahrtgastschiff MS Karlsruhe aufgeführt haben, ist viel passiert: Ihr Debüt-Album So wie Du ist mittlerweile nicht nur auf Spotify und Youtube zu hören, sondern wurde auch als CD und Schallplatte veröffentlicht. Doch so sehr es zunächst auch danach klingen mag, stellt dieses Album nicht den Beginn einer Schlagerkarriere dar. Dies liegt jedoch nicht am mangelnden Talent der Musiker:innen, sondern vielmehr daran, dass es sich dabei um eine Performance-Serie mit dem Titel Schlagerfeuer handelt, die von Heidi Herzig mit Beratung von Ben Öztat konzipiert wurde und gar nicht erst das Ziel verfolgt, industriell abgefertigt zu werden. Auch die Sängerin der Musikgruppe, Heidi Herzig, trägt zwar den gleichen Namen wie die Künstlerin, ist aber lediglich eine Kunstfigur. Diese Überlappungen zwischen Inszenierung und Realität, zwischen Kunst-Performance und Schlager ziehen sich durch die gesamte Performance-Serie und machen eine klare Trennung beinahe unmöglich. Doch trotz der Fiktionalität der Schlagergruppe ist Herzigs Faszination für Schlager genuin. Geboren wurde diese im Rahmen ihrer Arbeit in verschiedenen Industrieproduktionen, in welchen oftmals Schlager im Radio lief. Dort erkannte sie, welche Sehnsüchte in den Schlagertexten verhandelt werden und welche gesellschaftliche Funktion diese Musik in verschiedenen sozialen Kontexten erfüllen kann.
Doch zurück zur Schlagersängerin Heidi Herzig: Um dem Medientrubel zu entrinnen, begab sie sich im Herbst 2019 – parallel zur Kunst am Stadtkloster-Residenz der Künstlerin Heidi Herzig – in das Kloster St. Franziskus in Weiherfeld-Dammerstock. Dort lebte sie streng nach der fiktiven Ordnung San Franziska, welche auf die ebenfalls fiktive Unternehmensberaterin Franziska Sommer zurückgeht, die bis 1992 im Kloster gelebt haben soll. „Bora Bora“, der Leitspruch dieser Ordnung, der eine Abwandlung von „ora et labora“ (bete und arbeite) darstellt, liegt darin begründet, dass die Gründerin des Ordens, wie auch Herzig selbst, ein Interesse für Fabrikarbeiter*innen hatte und bemerkte, dass die Insel Bora Bora für viele von diesen ein unerreichbarer Sehnsuchtsort ist. Um diesen in den Alltag zu holen, entwickelte Sommer ungewöhnliche Tagesrituale, welche auch Herzig durchführte und in Form eines Live-Streams und mehrerer Youtube-Videos mit dem Titel San Franziska – Bora Bora exponierte. In diesen sieht man unter anderem, wie sie morgens auf dem Trampolin springt, mit zwei Hausschuhen aus Wischmops den Boden reinigt oder täglich Handstand macht, um die Perspektive zu wechseln.
Da Selbstabbildung in der Ordnung San Franziska strengstens verboten ist, lebte sie ohne Medien und Spiegelbild. Auch dieser Teil des Narrativs besitzt – trotz des darin mitschwingenden Humors – einen ernsten Kern: Denn mediale (Selbst-)Inszenierung ist nicht nur der Schlagersängerin, sondern auch der Künstlerin Heidi Herzig suspekt, da sie die Menschen verändert und häufig zu bloßen Imitationen ihres Selbst werden lässt. Im Zentrum von San Franziska – Bora Bora steht daher vor allem die Frage danach, wie der Selbstwert unabhängig vom Außen bestehen kann. Indem Herzig diese Frage inmitten eines Klosters aufwirft, macht sie deutlich, dass dieses zeitgenössische Bedürfnis nach unaufhörlicher Aufmerksamkeit eine Art von Spiritualitätsersatz darstellt. Trotz des Friedens, den Heidi Herzig ohne die Notwendigkeit der Selbstdarstellung fand, wurde sie während ihrer Zeit im Kloster jedoch immer häufiger von verführerischen Erinnerungen an ihre Zeit auf der Bühne heimgesucht. Als der Schlagersänger José sie nach langer Suche im Kloster fand und zum Verlassen der Ordnung ermutigte, war die Entscheidung Sschließlich gefallen: Der zweite Teil der Schlagerfeuer-Serie konnte nun beginnen.
Den Anfang oder zumindest den Übergang zu diesem zweiten Programm, das ebenfalls aus einem Musik-Album und Gastspielreisen bestehen soll, bildet die Lecture-Performance Intravention (Kamera klaut Seele), welche Heidi Herzig als ihre Diplomarbeit präsentierte. Darin trug sie in einer Mischung aus gesprochenem und gesungenem Wort einen Text vor, welcher nach ihrer Zeit im Kloster geschrieben wurde und somit eine Momentaufnahme ihres Prozesses darstellt. In dieser Lecture-Performance wird klar: Das Schlagerfeuer lodert wieder!
Heidi Herzig, geboren in Dresden, lebt und arbeitet in Karlsruhe. Sie studierte Germanistik und Angewandte Kulturwissenschaft an der Universität Karlsruhe sowie Medienkunst und Szenografie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Ihre performative Praxis bewegt sich zwischen Fiktion und Realität sowie im Spannungsfeld von vermeintlichem Traum und Albtraum innerhalb der neoliberalen Produktionsverhältnisse. 2019 zeigte sie, im Rahmen der gemeinsam mit dem Künstler Ben Öztat im Badischen Kunstverein Karlsruhe entstandenen Ausstellung im fluss, Arbeiten aus dem Kontext ihrer sechzehnjährigen Tätigkeit in Industriefabriken. 2017 erhielt Herzig für ihr Gemeinschaftsprojekt Auf der Reling – Spuren an einem Element den Preis der Badischen Beamtenbank.