„The personal is political“ – dieser Kampfspruch hallte in den späten 1960er Jahren durch die Straßen der Welt. Er wurde von tausenden feministischen Aktivist*innen gerufen, um die Verbindung zwischen persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Strukturen zu betonen. Während die vielen kollektiven politischen Interventionen, die darauf folgten, zwar dazu geführt haben, dass Frauen mittlerweile nicht mehr nur auf die Rolle der Hausfrau und Mutter beschränkt sind, sind damit jedoch noch lange nicht alle Probleme gelöst. Denn in der Arbeitswelt angekommen, sind Frauen heute häufig mit Machtmissbräuchen konfrontiert und müssen neben ihrer Arbeit meist weiterhin den größten Teil der Care-Arbeit übernehmen.

Diese traumatischen Erlebnisse und Gefühle der Überforderung, die auch Nina Overkott während ihrer Arbeit an verschiedenen kulturellen Institutionen erfahren musste, bilden den Ausgangspunkt ihrer Arbeit existing quietly, hallucing sober, telling stories, für welche sie sich über mehrere Monate hinweg einem Selbstexperiment unterzog. Darin versuchte sie, gesündere und nachhaltigere Arbeitsmethoden und -räume sowie einen reparativen Umgang mit ihren Traumata zu finden. Die Grundlage dafür schuf sie, indem sie sich nicht auf das künstlerische Endprodukt, sondern auf den Prozess selbst konzentrierte und sich so von dem Druck eines Outputs befreite. Zudem stellte sie die täglichen Routinen der Reproduktionsarbeit auf dieselbe Ebene wie die Produktionsarbeit und wertete den emotionalen, irrationalen Aspekt des künstlerischen Schaffens als dessen rationalen Methoden und Strategien gleichwertig.

Den Beginn des Prozesses bildete die Schaffung eines Ateliers, welches den räumlichen Rahmen für das Selbstexperiment darstellen sollte. Innerhalb dieses Raums erprobte die Künstlerin das Arbeiten ohne Plan, Konzept und äußere Anforderungen und begann mit verschiedensten Methoden und Instrumenten zu experimentierten. So nähte, malte und zeichnete sie, las von Teenagern geschriebene Geschichten, nahm jede Menge Kaffee und Instant-Nudeln zu sich, baute Dinge, die sie brauchte, organisierte kleine, intime Lesungen, stellte eine Playlist zusammen, tanzte, kümmerte sich um ihre Pflanzen und stellte ihren Schreibtisch immer wieder um. All diese täglichen, reproduktiven wie produktiven Methoden und Routinen dokumentierte Overkott in einem Logbuch mit dem Titel existing quietly. Um auch den während und zwischen diesen Routinen aufkommenden, irrationalen Aspekten – den emotionalen Zusammenbrüchen, den Versuchen der Selbstakzeptanz und der persönlichen Transformation – Ausdruck zu verleihen, setzte sie außerdem all die Textfragmente, die während des Prozesses entstanden waren und u.a. von Pflanzenähnlichkeiten, phantasievollen autonomen Zonen und unhygienischer Queerness erzählen, zu dem Gedicht hallucinating sober, telling stories zusammen. Dieses druckte sie mithilfe einzelner Buchstabenstempel von Hand auf Stoffbanner – ein langes Ritual für sie selbst, um sich ihrem aktuellen Zustand mit all seinen Unvollkommenheiten und unbequemen Aspekten zu verpflichten.

Am Ende des Selbstversuchs schuf die Künstlerin schließlich erneut einen Raum, den sie mit Möbeln aus ihrem Atelier sowie mit den während des Prozesses entstandenen Artefakten ausstattete. In diesem präsentierte sie ihren Prozess – begleitet von der Musik, die sie zusammengestellt hatte – in einem öffentlichen Vortrag. Darin stellte sie erneut Reproduktions- und Produktionsarbeit sowie deren rationale und irrationale Aspekte auf die gleiche Ebene, indem sie ihren Prozess zunächst rational beschreibend vortrug und daraufhin auf sehr intime Art in einem Sitzkreis erzählte. Durch das Schaffen eines sicheren Raums und das Teilen ihres persönlichen Prozesses bot Overkott den Zuschauer*innen die Möglichkeit, sich kollektiv über ihre persönlichen Erfahrungen auszutauschen, wodurch der Arbeit existing quietly, hallucing sober, telling stories – wenngleich sie nicht explizit politisch ist – ein enormes emanzipatorisches Potenzial zukommt.

Nina Overkott, geboren 1995 in Paris, ist Künstlerin und Designerin. Sie hat Kommunikationsdesign an der HfG Karlsruhe studiert und besuchte 2020 die LungA School in Seyðisfjörður, Island. In ihrer Praxis, welche kreatives Coding, Grafikdesign, Schreiben und Organisationsarbeit umfasst, erforscht sie symbiotische Verständnisse von Gemeinschaft und Selbst. Neben ihren gestalterischen und künstlerischen Projekten pflegt sie eine Praxis des Wissensaustauschs und der Lehre. Sie hat mehrere Gemeinschaftsprojekte mitbegründet, darunter NoFoundry, ein gemeinschaftliches Type-Foundry Projekt für studentische Schriftgestalter:innen, das Do-It-Yourself Radio Shbshb sowie den Community Toolkit Workshop, eine Initiative zur Entwicklung von Werkzeugen und Ressourcen für die Lösung systemischer Probleme im universitären Kontext. Seit 2022 unterrichtet sie Code und Webdesign an der HfG Karlsruhe.