Jules Buchholtz
MA Theaterwissenschaft, Universität München, Deutschland
Das Seminar konzentriert sich auf die realitätsproduzierende Wirkung szenario-induzierter Vorausschau. Das Theater ist seit jeher eine Praxis der Erprobung des Lebens im 'Als-ob' und zunehmend auch wieder ein Instrument der Wissensvermittlung gesellschaftlich relevanter Fragestellungen. Es steht immer wieder im Zentrum der Bemühungen, die Zukunft der Gesellschaft zu gestalten, inspiriert von der Frage: Wie wollen wir leben? Es kann als Labor für neue Formen der Partizipation dienen. Es kann ein Spielfeld für neue Formen des Wohnens, der Utopien, der Transformation und neuer Gesellschaftskonzepte sein. Im Mittelpunkt des Seminars steht daher die Funktion und Bedeutung von Theater und Szenario bei der antizipatorischen Vorausschau auf die Zukunft und der auf die Zukunft gerichteten Meinungsbildung, geleitet von der Frage: Woher wissen wir überhaupt, dass wir so leben wollen?
Jules Buchholtz studierte Philosophie, Angewandte Theaterwissenschaft, Bildende Kunst und Performance am Dartington College of Arts, in Heidelberg und Gießen. Sie ist Mitglied des Graduiertenzentrums für Kulturwissenschaften in Gießen und Lehrbeauftragte an der Universität Gießen und der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Sie lebt und schreibt in Hamburg, wo sie sowohl theoretisch als auch künstlerisch mit den Schwerpunkten Realismus / Realität, Risikoregime, spekulative Szenariotechnik und Medizinrecht arbeitet. Derzeit ist sie als Gastdozentin am MA-Studiengang Theaterwissenschaft in München tätig.
2 – Ekaterina Trachsel
Institut für Medien, Theater und Populärkultur, Universität Hildesheim, Deutschland
Seit den Tagen der historischen Avantgarden steht 'Montage' als Technik für eine Dramaturgie, die stark von einem aristotelischen Ideal abweicht. Man kann von einer Dramaturgie der schnellen Übergänge, des Kontrasts und der Unvollständigkeit sprechen. Während Sergej Eisenstein in den 1920er Jahren seine "Montage der Attraktionen" plante, um das Publikum politisch zu beeinflussen, steht in der postdramatischen Vorstellung der "Montage" der 1990er Jahre das Individuelle und die freie Verbindung disparater Teile und Fragmente im Vordergrund. 2013 veröffentlichten die Anthropologen Christian Suhr und Rane Willerslev ihren Sammelband mit dem Titel Transkulturelle Montage. Darin beschreiben verschiedene Autorinnen und Autoren die Montage und ihr Potenzial, die "Lücke", die Abwesenheit subalternen Sprechens und Phänomene des diskursiven Ausschlusses im Allgemeinen zu beachten. Die Ruhrtriennale 2019 will "[...] Aspekte der europäischen Selbstkritik beleuchten; in diesem Jahr setzen sich Künstlerinnen und Künstler auf vielfältige Weise mit ihrer eigenen privilegierten europäischen Existenz auseinander." (Stefanie Carp). Wir werden die Inszenierung von (Selbst-)Kritik diskutieren, um unterschiedliche Strategien der Montage und De-Montage zu entdecken: Ist (Selbst-)Kritik immer eine De-Montage von scheinbar statischen Positionen und Strukturen? Was sind die Lücken und Fragmente bei der Beobachtung einer theatralen Dekonstruktion von 'europäischen' Privilegien? Anhand der dramaturgischen Architekturen verschiedener Aufführungen soll die Hypothese getestet werden, ob es so etwas wie eine 'europäische Dramaturgie' überhaupt gibt. Dekonstruieren die Aufführungen, die wir bei der Ruhrtriennale 2019 erleben, (unsere Vorstellung von) einer 'europäischen Dramaturgie'?
Ekaterina Trachsel studierte Szenische Künste (B.A.) und Darstellende Künste und Medien (M.A.) an der der Universität Hildesheim. Seit 2017 arbeitet sie dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien, Theater und Populärkultur. Sie promoviert bei Prof. Dr. Annemarie Matzke über die Produktions- und Rezeptionsästhetik des Prozesses der Demontage im Theater. Neben der Lehre und Forschung arbeitet sie als freie Theatermacherin mit dem Theaterkollektiv VOLL:MILCH und dem interdisziplinären Künstlerkollektiv MONSTER CONTROL DISTRICT (www.vollmilch.me).
3 – Sabine Harbeke & Stefanie Lorey
Regie, Zürcher Hochschule der Künste, Schweiz
Welchen Systemen sind Theaterabende und Aufführungen unterworfen? Wie lässt sich eine Veranstaltung sortieren und gestalten? Welche Absprachen gibt es? Welche Abweichungen? Wie werden sie sichtbar? Wie können sie vertuscht werden? Mit welchen Techniken wird auf das Publikum eingewirkt und mit welchen Methoden können sie verhindert werden? Welche räumlichen Konstellationen sind entscheidend und bestimmen das Spiel? Und welchen Einfluss hat die Dekodierung auf die ästhetische Lesbarkeit des Werkes? In diesem Kurs geht es um Vereinbarungen von (Theater-)Spiel und (ästhetischen) Regelwerken. Auf der Bühne. Zwischen Bühne und Zuschauerraum. Zwischen fiktionalem und realem Raum. Und im alltäglichen Leben. Anhand der gemeinsam besuchten Aufführungen und Exkursionen werden Verabredungen, Regelwerke, Gesetze, Partituren untersucht, reflektiert und entschlüsselt. Die TeilnehmerInnen entwerfen exemplarische Regelwerke und entwickeln ästhetische Modelle, die in einfachen Versuchsanordnungen erprobt, erlebt und diskutiert werden.
Sabine Harbeke ist eine Schweizer Theaterautorin und Regisseurin. Sie studierte Leibeserziehung gefolgt von Visueller Kommunikation an der HGK Luzern und Filmregie an der SVA in New York. Sie lebte und arbeitete in New York, wo sie kurze Spielfilme und eine Dokumentation über den Fulton Fish Market schrieb und inszenierte. In diesen Jahren wurde sie Mitglied der "Playwright and Directors Unit" am Actors Studio in New York und realisierte mehrere Projekte. Nach ihrer Rückkehr nach Europa wurde sie als Autorin und Regisseurin vom Thalia Theater in Hamburg, Theater Kiel, Theater Bonn, Theater Basel, Theater Neumarkt in Zürich, Theater Bern, Theater St. Gallen und Schauspielhaus Bochum engagiert. 2016 inszenierte sie ihre eigene Adaption von "Medea" am Teatr Muzyczny Capitol in Wroclaw in Zusammenarbeit mit Piotr Dziubek. Ihre Stücke drehen sich oft um die Thematik aktueller politischer Situationen, die in das Private eingreifen, und wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Seit 2009 ist sie Leiterin des BA-Studiengangs Theaterregie an der ZHdK und arbeitet international als Gastdozentin. Stefanie Lorey studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Seit 2001 arbeitet sie mit Bjoern Auftrag unter dem Label "Auftrag : Lorey" an Projekten, die sich im Grenzbereich von Performance und Installationskunst bewegen. Ihre Arbeiten wurden u.a. am schauspielfrankfurt, den Wiener Festwochen, den Salzburger Festspielen, dem Schauspielhaus Bochum, dem Deutschen Theater Berlin sowie in Caracas (Venezuela) und Johannesburg (Südafrika) gezeigt. Im Jahr 2017 schloss sie ihre Promotion über das Konzept der Performativen Sammlung ab.
4 – Hanne König
Studiengang für Ausstellungsdesign und Szenografie, HfG Karlsruhe, Deutschland
TEIL DIESES WORKSHOPS IST DAS EBOW / EBONY BONES KONZERT AM SONNTAG ABEND, 22. SEPTEMBER BEI DER RUHRTRIENNALE. DAS BEDEUTET: ALLE TEILNEHMER DIESES SEMINARS SIND EINGELADEN, BIS MONTAG MORGEN, 23. SEPTEMBER, ZU BLEIBEN, ALSO EINE NACHT LÄNGER ALS DER REST DER FESTIVALCAMPUS-GRUPPE. (UNTERKUNFT WIRD GESTELLT)
Feministischer Rap boomt. Die fortschreitende Aneignung dieser musikalischen Form des schnellen Sprechgesangs über zeitgenössische "Realitäten" und gesellschaftliche Strukturen ist laut, radikal und unaufhaltsam. Als Rap-Battle gegen einen fiktiven Gegner lässt sich sein gesellschaftspolitisches Potenzial ausschöpfen. Wir nähern uns diesem Genre als Amateure – das heißt, niemand muss rappen können; ich kann es (leider) auch nicht.
Wir nehmen einige Protagonistinnen der Szene unter die Lupe und hören uns ihre Songs an: Wie sind ihre Texte geschrieben? Wie ist der Beat beschaffen? Was ist ihr Tanzstil und ihr Modestil oder gar ihre Kostüme?
Das Setting bzw. die Bühne bei einem Rap-Konzert gibt dem Publikum oft Macht und durchbricht die vierte Wand – das Publikum wird angesprochen und in die "Kommunikation" eingebunden. Es wirkt als Zeichen der Solidarität und kann im Kontext von Empowerment verstanden werden.
Hanne König arbeitet konzeptionell und als Kuratorin für Ausstellungen und steht im Dialog mit Künstlern zu deren Werken und mit Grafikern zu Publikationen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für kuratorische Studien und dramaturgische Praxis am Lehrstuhl für Ausstellungsdesign und Szenografie an der HfG Karlsruhe. In den letzten Jahren hat sie unsichtbare (aber nicht unsichtbare) Prozesse in der kuratorischen und choreografischen Arbeit untersucht. Außerdem interessiert sie sich für feministische Science Fiction und feministische kollektive Praktiken.
5 – Jürgen Bruckner & Brechje Janssen
ArtEZ Akademie für Theater und Tanz, Zwolle, Niederlande
Der kooperative Workshop setzt sich intensiv mit zwei Künstlerinnen aus dem Festivalprogramm der Ruhrtriennale und ihren jeweiligen künstlerischen Kontexten auseinander: Der niederländische Theatermacher Jetse Batelaan und die brasilianische Regisseurin Christiane Jatahy.
Wir werden mit physischen und philosophischen Elementen arbeiten, die uns helfen, verschiedene Aspekte einer spezifischen Richtung der niederländischen (Jugend-)Theaterlandschaft und einer ihrer prominentesten Vertreterinnen, Jetse Batelaan, zu untersuchen. Typische Elemente dieser Theaterform erlauben uns, anders zu sehen und zu denken und spielen auf raffinierte Weise mit den Erwartungen, die wir als ZuschauerIn haben. Wir werden mit Fragmenten aus Batelaans Inszenierung arbeiten, die wir sehen werden, und während der ersten und zweiten Sitzung versuchen, kleine eigene Szenen oder Bilder zu kreieren, die von typischen Elementen dieser niederländischen zeitgenössischen Theater-'Sprache' inspiriert sind.
In der dritten Sitzung werden wir unser Format von einem Workshop in den Rahmen eines Seminars über Christiane Jatahy ändern. Wir werden versuchen, ihr Odyssee-Diptychon im direkten Vergleich mit der ebenfalls 2018 entstandenen Odyssee-Adaption eines anderen brasilianischen Regisseurs, Leonardo Moreiras und seiner Compagnie Hiato, zu beleuchten. Welche Faszinationen gehen von diesem homerischen Stoff für zeitgenössische südamerikanische Regisseure aus? Welche Chancen und Risiken verbergen sich hinter dem Medienwechsel vom gesungenen oder geschriebenen Epos auf die Theaterbühne? Zur Vorbereitung auf diese Sitzung sollte Michel Foucaults einschlägige Radiovorlesung "Other Spaces" gelesen werden.
(.....) EIN STÜCK, DAS SICH EINEN DRECK UM SEINEN VAGEN TITEL SCHERT JETSE BATELAAN
PERFORMANCE
Vor langer Zeit sang ein Sänger mit viel Brusthaar: "IS this the real life. Is this just fantasy?" Wir denken nach. Wir haben unsere Zweifel. Aber was soll's! Warum müssen wir etwas verstehen, das eigentlich unverständlich ist? Und übrigens, dieser Queen-Song hat nichts mit unserem Stück zu tun. Er ist nicht enthalten. Es ist nur ein Beispiel. Oder ist das auch nicht erlaubt? Willst du nachher an der Kasse meckern, dass der Klappentext falsch war? Na, dann los. Viele andere Dinge sind auch falsch.LIEBESGESCHICHTE CANDICE BREITZ
INSTALLATION / VIDEO
Eine eigens für die Ruhrtriennale 2019 konzipierte Version von Love Story von Candice Breitz wird über 4 Tage im Museum Folkwang aufgeführt:
Love Story befragt die Mechanismen der Identifikation und die Bedingungen, unter denen Empathie produziert wird. Die Arbeit evoziert das globale Ausmaß der Flüchtlingskrise und entwickelt sich aus langen Interviews mit sechs Personen, die als Reaktion auf eine Reihe von unterdrückenden Bedingungen aus ihren Ländern geflohen sind: Sarah Mardini, die aus dem kriegsgebeutelten Syrien geflohen ist; José Maria João, ein ehemaliger Kindersoldat aus Angola; Mamy Maloba Langa, eine Überlebende aus der Demokratischen Republik Kongo; Shabeena Saveri, eine indische Transgender-Aktivistin; Luis Nava Molero, ein politischer Dissident aus Venezuela; und Farah Abdi Mohamed, ein junger Atheist aus Somalia.
Die persönlichen Erzählungen der Interviewpartner werden von Love Story zweimal artikuliert. Im ersten Raum der Installation werden nachgespielte Fragmente aus den sechs Interviews in eine rasante Montage mit den Hollywood-Schauspielern Alec Baldwin und Julianne Moore verwoben. In einem zweiten Raum, der nur über den ersten zugänglich ist, werden die Originalinterviews in ihrer vollen Länge und Komplexität projiziert. Indem sie die Zuschauer zwischen den düsteren Berichten von Menschen, die in den Medien normalerweise namen- und gesichtslos bleiben, und einem zugänglichen Drama mit zwei Schauspielern, die die Sichtbarkeit schlechthin verkörpern, in der Schwebe hält, reflektiert Love Story eine mediengesättigte Kultur, in der eine starke Identifikation mit fiktiven Charakteren und prominenten Persönlichkeiten mit einer weit verbreiteten Gleichgültigkeit gegenüber der Notlage derer einhergeht, die mit den Widrigkeiten der realen Welt zu kämpfen haben.TRAINING FOR THE FUTURE JONAS STAAL, FLORIAN MALZACHER PERFORMATIVES TRAININGSLAGER
„Training for the Future“ ist ein utopisches Trainingscamp, in dem das Publikum zu Auszubildenden in der Erschaffung alternativer Zukünfte wird. Es lernt, wie man die Gesellschaft dekolonisiert, wie man extraterritoriale Gewässer für politische Aktionen nutzt, neue Formen der Verschlüsselung schafft, generationenübergreifende Klimagerechtigkeit umsetzt, künstliche Intelligenz sozialisiert und transnationale Kampagnen durchführt. ZukunftsforscherInnen, progressive HackerInnen, postnationale AktivistInnen, TransnationalistInnen, TheatermacherInnen, KünstlerInnen und viele andere bieten in einer vom Künstler Jonas Staal entwickelten Trainingsinstallation in der Jahrhunderthalle Bochum konkrete Übungen für Alternativen zur gegenwärtigen Krise an. Es scheint heute Konsens zu sein, dass das, was vor uns liegt, nur als Katastrophe vorstellbar ist. „Training for the Future“ zielt stattdessen darauf ab, die Produktionsmittel der Zukunft kollektiv zurückzuerobern.
„Training for the Future“ bietet vierzehn Trainings über drei Tage an, die Teilnahme ist für das gesamte Curriculum oder für jedes Training einzeln möglich.DAS VERWEILENDE JETZT - O AGORA
QUE DEMORA UNSERE ODYSSEE 2
CHRISTIANE JATAHY
FILM / THEATER / PERFORMANCE / DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG
Es geht um die Komplexität des Verlorenseins. Die brasilianische Regisseurin Christiane Jatahy sammelte Filmmaterial in Brasilien, Griechenland, Libanon, Palästina und Südafrika. Dieses dokumentarische Material mischt sie mit Live-Erzählungen der TeilnehmerInnen des Abends. Das sind Menschen aus den jeweiligen Orten, an denen die Produktion aufgeführt wird, darunter auch SchauspielerInnen. Die Verschmelzung der Genres ist das stilistische Prinzip der Performance, das Fehlen einer Heimat und einer Zukunft ihr Thema: das verweilende Jetzt.