In diesem Buch werden Fragen gestellt und gestaltet.

Als Prof. Sereina Rothenberger und Prof. David Bennewith GrafikdesignerInnen zu Vorlesungen an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe einluden, bemerkten sie, dass die Studierenden zögerten, Fragen zu stellen. Sie waren überzeugt, dass dies nicht auf mangelnde Neugierde zurückzuführen sei, sondern vor allem darauf, dass die Studierenden der Meinung waren, sie könnten die „falschen“ Fragen stellen. Deshalb beschlossen Rothenberger und Bennewith ein Seminar zu veranstalten, bei dem es darum gehen sollte, Fragen zu stellen – eine wertvolle Fähigkeit auch für GrafikdesignerInnen. Im Mai 2015 luden sie Marietta Eugster, Elisabeth Klement und Laura Pappa, Vier5 und Honza Zamojski ins „Institut für analoge Studien“ von Otl Aicher in Rotis (Deutschland) ein. Im November 2017 wiederholten sie das Seminar und luden Wayne Daly, Veronica Ditting, Manuel Krebs (Norm), Vinca Kruk (Metahaven) und Monika Maus ebenfalls nach Rotis ein.

An zwei Tagen wurden die eingeladenen DesignerInnen auf vielfältige Weise von den Studierenden befragt, deren Aufgabe darin bestand, Fragen zu verstehen, zu stellen und zu gestalten. Jedes Interview in diesem Buch wurde von einer Gruppe von Studierenden entworfen, die das Interview entwickelt und auch durchgeführt haben. Teil der Aufgabe war es, für jedes Interview eine Schrift zu entwerfen, die auf Otl Aichers „Rotis“ (1989) basiert. „Rotis“ ist eine universelle Schrift, die irgendwie in ihrer Zeit stecken geblieben ist. Umso bemerkenswerter waren die Redesigns der Studierenden, die im Seminar entwickelt wurden. Alle Ergebnisse zusammen sind eine wilde Mischung verschiedener ästhetischer Ansätze, die von der Perspektive der Studierenden auf die Werke und die InterviewteilnehmerInnen beeinflusst wurde.

Ein Team aus drei Studierenden – Friederike Spielmannleitner, Simon Knebl und Béla Meiers – fasste die Interviews zusammen und gestaltete das Buch mit ihrer Schrift „Aach“, die auf typografischen Skizzen der Sommer-Olympiade 1972 basiert, welche sie im ehemaligen Atelierkomplex von Aicher gefunden hatten. Der abwechslungsreiche Inhalt der Interviews ist auffällig in zwei Abschnitte gegliedert, einen für jeden Besuch in Rotis. Die Farben des Buches repräsentieren die unterschiedlichen saisonalen Atmosphären. Das Winterlila und das Frühlingsgelb sind auch eine Hommage an die Farbtöne, die das Team in Aichers Werk gefunden haben. Beide Abschnitte werden durch ein Kapitel illustrativer Collagen ergänzt, die einen atmosphärischen Einblick in die Reise nach Rotis geben sollen. Durch die klare Struktur des Buches und ein Design, das wahrnehmbare Klammern bildet, wirkt das Buch mehr wie „Marshmallow Süßigkeiten“ als „Steinmonolith“ und wird selbst zu einem Objekt.

Die von Studierenden aller Altersgruppen produzierte Arbeit ist vielleicht der zeitnaheste Einblick, den man in den Bereich Grafikdesign haben kann, da die Arbeit die momentane Neugier der Studierenden widerspiegelt. Es ist interessant zu hinterfragen, inwiefern es bereits einen sichtbaren Unterschied zwischen den Designs aus 2015 und 2017 gibt.


Beispiele einzelner Studierendenarbeiten

Interview, Layout und Schrift von Tatjana Pfeiffer und Kathrin Rüll

Tatjana Pfeiffer und Kathrin Rüll entwickelten einen Fragenkatalog und gestalteten ein Interview-Setting für Manuel Krebs.

Zusammen mit Dimitri Bruni und Ludovic Varone bildet Krebs das Schweizer Studio NORM, welches für das strenge Arbeiten in Rastern mit klaren Gestaltungsrichtlinien bekannt ist. Ein Beispiel für ihre Arbeit ist der „Sign-Generator“. Auf einem bestimmten Raster werden durch Zeichenkombinationen Buchstaben generiert, wodurch ca. 5.000 Zeichen entstehen. Dieses Prinzip wurde inhaltlich wie auch gestalterisch auf das Interview angewendet. Als Raster diente hier ein eigens entworfenes „Twister“-Spiel, das assoziativ gewählte Bilder und Begriffe enthält, die sich an der Arbeit von NORM orientieren. Während das Spiel-Rad gedreht wurde, musste sich Manuel Krebs auf den jeweiligen Feldern bewegen und die darunter verborgenen Fragen beantworten. Er generierte somit selbst Formen in diesem Raster. Gleichzeitig bot das Spiel die Möglichkeit, eine lockere und spielerische Atmosphäre zu schaffen und den streng und systematisch arbeitenden Designer aus der Reserve zu locken.

Neben der Transkription des Interviews und der Gestaltung des Layouts, die sich an der Ästhetik des Spieles „Twister“ orientiert, entstand zudem die Schrift „Normlinear“. „Normlinear“ nimmt sich Otl Aichers Schrift „Rotis“ als Vorbild, nutzt deren Grundgerüst und übersetzt sie in eine monolineare, Monospace-Schrift, in der sich die Technik-Versiertheit von NORM widerspiegelt.


Interview, Layout und Schrift von Laurine Haller, Janosch Kratz und Sun Young Oh

Die Idee für das Interview beruhte auf der Tatsache, dass die Studierenden Vinca Kruk nicht kannten und diese alleine anreisen würde.
So planten die Studierenden einen gemütlichen Rückzugsort, an dem man sich gut unterhalten konnte. Sie fanden in Rotis zufällig einen passenden Raum – mit nacktem Betonboden, chaotisch und staubig, überall lagen und stapelten sich alte, antiquarische Gegenstände und kaum ein Sonnenstrahl fand den Weg hinein. In der Dunkelheit und Abgeschiedenheit des Raumes fühlte man sich allerdings sicher und versteckt.
Um eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen, in der ein lockeres Beisammensein stattfinden konnte, wurden Decken auf dem Boden ausgebreitet und Tee serviert.

Im Interview konzentrierten sich die Studierenden auf einfache Themen, die besonders für sie als Studierende von Interesse waren, wie z.B. „Wie wurde eigentlich Metahaven gegründet?” oder Fragen zu ihrem Buch „Uncorporate Identity” sowie ihren Erfahrungen in der Lehre.

Ihre eigene Schriftart gestalteten die Studierenden mit Hilfe des Konzepts einer Geheimschrift – gleich ihrem Interviewsetting versteckt und gemütlich aber auch heimlich. Inspiriert wurde das Typeface von der Internetschrift „Leetspeak“, in der einzelne Buchstaben durch ähnlich aussehende Ziffern oder Sonderzeichen ersetzt wurden. Die neu entstandene Schrift heißt “Rotis Republik”.

Bei der Gestaltung des Layouts orientierten sich die Studierenden erneut an dem Setting ihres Interviews. Der dunkle Hintergrund, die unregelmäßig zugeschnittenen Textrahmen sowie die zerstückelten, schräg gesetzten Textfelder erinnern an den unordentlichen, staubigen Raum. Die Fragen und Antworten des Interviews lassen sich durch die schwarze und weiße Hintergrundfarbe der Textfelder sowie die verwendete Schriftart („Rotis“ und „Rotis Republik“) unterschieden.

Autoren:
Massimiliano Audretsch, Lorena Castro, Timothée Charon, Adrian Dickhoff, Matthias Gieselmann, Laurine Haller, Johannes Hucht, Bruno Jacoby, Desiree Kabis, Rana Karan, Simon Knebl, Janosch Kratz, Calvin Kudufia, Béla Meiers, Yannick Nuss, Sun Young Oh, Tatjana Pfeiffer, Kathrin Rüll, Simon Schelsky, Henrik Schmitz, Ioanna Spanachi, Tatjana Stürmer, Marcel Strauß, Henriette Wehking, Hendrik Whelan, Jannis Zell, Roman Zimmermanns, Shuaitong Zong

HerausgeberInnen:
David Bennewith & Sereina Rothenberger für die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe

Design:
Béla Meiers, Simon Knebl, Friederike Spielmannleitner

Verlag:
Spector Books

ISBN: 9783959052818

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Betreuung: Prof. Sereina Rothenberger, Prof. David Bennewith