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© Michail Rybakov

Die in der Mai-Sitzung (2018) des Projektseminars „Critical Zones“ von Professor Dr. Bruno Latour präsentierten Projektskizzen waren so vielversprechend wie vielfältig; sie reichten von Recherchen zum Ausstellungsformat über theoretische und historische Beiträge bis hin zu künstlerischen Arbeiten. Zur letzten Kategorie gehört die hier exemplarisch gezeigte Arbeit von Michail Rybakov, Alumnus des Studiengangs Medienkunst an der HfG Karlsruhe; sie ist nur eine von mehreren Ideen, die er im Seminar vorgestellt hatte. Die Arbeit geht von den taxonomisch-klassifikatorischen Bildtafeln Ernst Haeckels (1834–1919) aus, der den modernen Begriff der Ökologie 1866 definierte als "die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt“.

Rybakov bearbeitete diese Bildtafeln – und zwar nicht mittels des Genius des Künstlers und seiner Imagination, sondern vermittels der technischen „Einbildungskraft“ von neural networks, vermittels Bildprozessierung durch künstliche Intelligenz. Über neural-style-transfer-Algorithmen wurde ein Programm mit Haeckel-Bildtafeln gefüttert und darauf trainiert, visuelle Muster zu erkennen. Der so extrahierte illustrative Stil Haeckels wurde auf solche Schnittdiagramme aus den Geowissenschaften projiziert, wie sie oft zur Illustration der critical zone verwendet werden. Herausgekommen sind Bildwelten, die uns seltsam vertraut, aber dennoch faszinierend fremd erscheinen. Sie zeigen skurrile „Landschaften“ von ineinander gefaltetem biologischem Material – wie Lebenswelten, die ihre eigene Umwelt selbst generieren, wie die Vereinigung von Lebewesen mit ihrer Ökologie. Rybakov sagt selbst über seine Arbeit:

"Wir sind darauf konditioniert, nach Sinn in wissenschaftlichen Illustrationen zu suchen. Während die Bedeutung durch den Prozess des neural-style-transfer verloren geht, gewinnt die Illustration viel visuelle Komplexität. Als BetrachterIn spüren wir womöglich eine tiefe Wechselbeziehung zwischen dem Tier und seiner Umgebung, aber wir sind nicht in der Lage, die Besonderheiten ihrer Beziehungen tatsächlich zu verstehen."
(Zitat im englischen Original unter rybakov.com/blog/visualizing_complexity)

Zitat (englisch):
„We are conditioned to look for meaning in scientific illustrations. While the meaning is lost through the process of neural style transfer, the illustration gains a lot of visual complexity. As viewers we may sense a deep cross-interlocking between the animal and its environment, but we do not get the chance to actually understand the specifics of their relationships.“

Betreuung: Daniel Irrgang, Prof. Bruno Latour