Spätestens in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde auch in Europa überdeutlich, dass Ökonomie, Politik und Kunst künftig nicht mehr allein auf den klassischen Industrien, ideologischen Rhetoriken und Ästhetiken aufgebaut sein würden. Der legendär gewordene achtbändige Bericht der von der deutschen Bundesregierung eingesetzten Kommission zum Ausbau des technischen Kommunikationswesens (KtK) war 1974 erschienen – bereits drei Jahre zuvor hatte das Japan Computer Development Institute die Informationsgesellschaft als politstrategischen Begriff geprägt und sie als „nationales Ziel“ auf dem Weg ins Jahr 2000 ausgerufen. Die Pariser Ausstellungen „Electra“, die der in Prag geborene Kunstwissenschaftler Frank Popper konzipiert hatte, und „Les Immatériaux“, realisiert durch den französischen Philosophen Jean-François Lyotard, setzten 1984 und 1985 späte, aber starke Signale für das notwendige Umdenken sowohl der Einrichter und Lenker, als auch der Dichter und Denker in den postmodernen Gesellschaften. Neue Arbeits- und Produktionsweisen benötigten neue Wahrnehmungskulturen. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) leistete sich bereits seit 1967 eine eigene künstlerische Forschungsplattform, das Center for Advanced Visual Studies (CAVS), das von dem ungarischen Künstler Györgi Kepes gegründet worden war. Die Akademie der Künste in Budapest war folgerichtig auch eine der ersten traditionellen Akademien, die (ab 1991) eine Abteilung für intermediales Experimentieren und Lernen einrichtete. Zwei Jahre zuvor wurde bereits das Institut für Neue Medien (INM) als An-Institut der Städelschule gegründet; sein erster Direktor war Peter Weibel. 1991 folgte noch das Institut für zeitbasierte Medien an der Universität der Künste Berlin – gegründet unter der Leitung des Filmemachers und Künstlers Heinz Emigholz.
Noch einflussreicher wurden allerdings die Neugründungen um die letzte Jahrzehntwende des 20. Jahrhunderts. Der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth gehörte zur Avantgarde der politischen Entscheider. In seinem Buch Wende in die Zukunft (1985) entwarf er eine mögliche „Denkpartnerschaft“ von Mensch und Maschine. Die Stadt Karlsruhe hatte er als jenen Ort ausersehen, an dem die Beziehungen zwischen Kultur und Technik vertieft werden sollten. Nahezu parallel etablierten in den späten 1980ern die beiden sehr unterschiedlichen deutschen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ihre kreativen Think Tanks für die künstlerische und theoretische Durchdringung der neuen Kommunikationstechnologien in Köln und Karlsruhe. Das französische Studio national des arts contemporains Le Fresnoy entstand zwischen 1991 und 1997. Die International Academy of Media Arts and Sciences (IAMAS) im japanischen Ogaki-Shi wurde bereits nach dem europäischen Vorbild des „Digital Bauhaus“ aufgebaut, wie eine spektakuläre Ausstellung 1999 am ICC in Tokyo genannt wurde. Den Begriff des digitalen Bauhauses hat der Künstler Jürgen Claus in den 1980ern während seiner Zeit als Gastforscher am CAVS des MIT in Boston geprägt. Er ist bis heute gern gesehener Gast im ZKM und an der HfG Karlsruhe.
Es war eine äußerst glückliche Fügung, als Heinrich Klotz das Angebot der Landesregierung Baden-Württembergs annahm, die ambitionierten Zukunftspläne für die Künste am Standort Karlsruhe zu realisieren. Anfang der 1970er konnte man ihn an der Marburger Universität (zusammen mit seinem Assistenten Horst Bredekamp und seinem Kollegen Martin Warnke) noch als eher skeptischen Kunsthistoriker kennenlernen, wenn es um die Wünsche der Studierenden nach einer Integration von Medienforschung in die Lehre der geisteswissenschaftlichen Fakultät ging. Knapp 20 Jahre später nahm er die Herausforderung an, die Erforschung und die Gestaltung der nun zum Imperativ entwickelten technischen Kommunikationsverhältnisse mit seinem kritischen und kreativen Geist zu durchdringen. Die Etablierung einer Hochschule für Gestaltung, in der Tradition der berühmten Ulmer Institution, setzte der charismatische Pragmatiker Klotz programmatisch als Grundbedingung für die Entwicklung des Zentrums für Kunst und Medientechnologien (ZKM) und sorgte damit Anfang der 1990er für eine in Europa einmalige Mischung von Lehr-, Forschungs- und Ausstellungsmaschine. Wie schon beim historischen Bauhaus-Modell sollten die Grenzen zwischen freien und angewandten Künsten genauso aufgehoben werden wie diejenigen zwischen Theorie und experimenteller Praxis.
Im Sommersemester 1992 nahm die HfG mit einigen wenigen, bereits in anderen Studiengängen erfahrenen, Studentinnen und Studenten ihre Arbeit auf. Heinrich Klotz fokussierte die Lehre – analog zum Kölner Gründungsmodell – zunächst auf das post-graduale Studium. Im wahrsten Sinne des Wortes wirkte er als unermüdlicher spiritus rector. Mit Hans Belting, Klaus vom Bruch, Marie Jo Lafontaine, Marcel Odenbach, Gunter Rambow, Peter Sloterdijk, etwas später Volker Albus, Siegfried Gohr, Boris Groys, Candida Höfer, Edgar Reitz, Thomas Struth, oder Beatrix von Pilgrim gelang es ihm, ein prominentes und spannendes Kollegium zu versammeln, das gemeinsam mit den Studierenden lernte, die neuen Verhältnisse zu begreifen und zu gestalten.
„Die ersten sechs bis acht Jahre unserer Existenz waren noch ganz improvisiert und essayistisch“ schrieb Peter Sloterdijk 2008 im Rückblick. Das galt auch für die räumliche Unterbringung. Erst mit dem Einzug von Hochschule und ZKM in den riesigen Hallenbau der ehemaligen Waffen- und Munitionsfabrik (Industrie-Werke Karlsruhe AG) erfüllte sich die Idee, die mir Heinrich Klotz lebhaft schilderte, als wir zusammen durch die brachliegenden Ruinen des mächtigen Industriebaus gingen: In einem Haus, angeleitet von einem einzigen Dirigenten, dessen Sitz unter dem Dach des Gebäudes gedacht war, sollte der wechselseitige Zusammenhang von Kunst, Medien und Denken gelehrt, erforscht, experimentell ausprobiert und ausgestellt werden.
Der Tod von Heinrich Klotz im Sommer 1999 traf das Karlsruher Avantgarde-Projekt schwer. Als Hochschulleiter war der weitsichtige, sensible und zugleich entschiedene Visionär nicht zu ersetzen. Als Direktor des ZKM trat der geniale Peter Weibel das Erbe an und setzte die innovative Forschungs- und Ausstellungsmaschine fortan noch markanter auf die Karte der globalen Museumslandschaft. Für die HfG übernahm zunächst Gunter Rambow provisorisch die Leitung des Rektorats, bis Anfang 2001 Peter Sloterdijk zu ihrem neuen Rektor ernannt wurde. Er blieb 14 Jahre in diesem Amt, vor allem im letzten Jahr stark unterstützt von dem erfolgreichen Produktdesigner Volker Albus. Von 2015 bis zur Amtsübergabe an den Medientheoretiker Siegfried Zielinski Anfang 2016 leitete er faktisch die Hochschule. Siegfried Zielinski gab das Rektorenamt Ende März 2018 ab. Von 01. April 2018 bis 30. September 2019 übernahm Johan F. Hartle die Position des kommissarischen Rektors an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.
Unter der Leitung des New Yorker Star-Architekten entstand von 1999 bis 2003 an der HfG das Daniel Libeskind Research Studio. Studierende der Studiengänge Medienkunst, Szenografie, Produktdesign, Kommunikationsdesign, Kunstwissenschaft und Philosophie widmeten sich dort aus unterschiedlichsten Richtungen der Erforschung des Raums. Heute ist davon die produktive Verbindung von Ausstellungsdesign und Szenografie übrig geblieben. Kurz bevor Libeskind die Hochschule verließ, wurde Hans Belting emeritiert (2002) – zwei Jahre zuvor hatte dieser an der HfG das DFG-Graduiertenkolleg „Bild – Körper – Medium. Eine anthropologische Perspektive“ initiiert, das bis 2009 Bildforschung als interdisziplinäres Projekt entwickelte. Boris Groys wechselte 2005 an die NYU. Im selben Jahr verließ Michael Saup die HfG, der mit seiner starken Code-Kompetenz und seinem Schwerpunkt in der Interaktion von Raum, Klang und Licht sieben Jahre lang starke Akzente gesetzt hatte.
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts übernahmen allmählich andere die theoretischen und praktischen Geschicke der Hochschule. Michael Bielicky füllte die Professur für digitale Medien aus. Beat Wyss unterrichtete ab 2003 dezidiert Kunstwissenschaft und Medientheorie und leitete das von Hans Belting übernommene Graduiertenkolleg. Wilfried Kühn lehrte Ausstellungsdesign von 2006 bis 2012. Byung-Chul Han gab ein kurzes Gastspiel in der Philosophie und Medientheorie. Wolfgang Ullrich füllte von 2006 bis 2015 den zweiten Lehrstuhl für Kunstwissenschaft und Medientheorie aus. In den medialen Künsten etablierte sich mit Didi Danquart, Thomas Heise und Andrei Ujica eine starke Filmabteilung. In der Fotografie sorgten Michael Clegg und Armin Linke in den letzten Jahren für markantes künstlerisches Profil. Desiree Heiss und Ines Kaag, international besser bekannt als das Duo BLESS, prägten das experimentelle Design zwischen Produkt und Mode, Urs Lehni das Kommunikationsdesign.
Anlässlich der letzten Evaluation durch den Wissenschaftsrat 2007 wurde der HfG Karlsruhe ein exzellentes Zeugnis ausgestellt. Das darf aber kein Grund zum Ausruhen sein. Die internationale und deutsche Hochschullandschaft haben sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. Vielerorts entstanden Medienabteilungen sowie kunsthistorische und -theoretische Institute, die sich der technologischen und medialen Einbindungen ihrer Gegenstände bewusst sind. Die allermeisten Akademien oder Universitäten für Kunst und Gestaltung haben längst die Herausforderungen durch die veränderte Produktions- und Wahrnehmungsbedingungen angenommen. Das Digitale ist nicht mehr selbstverständlich die Analogie zur alchemistischen Formel für Gold.
Das Rektorat und das Kollegium der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe hat die Aufgabe angenommen, der HfG und ihren Studierenden eine Perspektive zu eröffnen, die für die nächsten Jahrzehnte für Überraschungen sorgen und auf die Bildungsbedürfnisse neuer Generationen von Lernenden und Gestaltenden antworten kann. Die enge Zusammenarbeit mit dem ZKM bleibt Kontinuität und ein wichtiges Anliegen für die Gegenwart und Zukunft.